Dortmund (dpa) – Im Prozess um die tödlichen Polizeischüsse auf einen 16-jährigen senegalesischen Geflüchteten in Dortmund sind alle Angeklagten freigesprochen worden. Das Landgericht sah weder beim Schützen noch beim Einsatzleiter eine Straftat.
Damit folgte das Gericht zumindest zum Teil den Anträgen der Anklage. Nach der Beweisaufnahme hatte die Staatsanwaltschaft für vier von fünf Angeklagten Freisprüche gefordert: So habe etwa der Schütze – wenn auch irrtümlicherweise – geglaubt, sich in einer Notwehrlage zu befinden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft kündigte nach dem Urteil an, eine mögliche Revision durch den Bundesgerichtshof in Ruhe prüfen zu wollen.
Beamte schützen sich
Nach Überzeugung des Gerichts ging es dem Schützen und den Beamten, die Pfefferspray und Elektroschocker eingesetzt haben, um den eigenen Schutz. Der sofortige Einsatz war geboten. Als sich der 16-Jährige mit einem Messer in der Hand auf die Beamten zubewegte, seien sie irrtümlicherweise davon ausgegangen, er wolle sie angreifen. Tatsächlich habe er zwar versucht, der Situation zu entkommen. Dies konnten die Beamten in der Kürze der Zeit aber nicht erkennen.
Keine Fehler beim Einsatzleiter
Auch beim Einsatzleiter sah das Gericht keinen Fehler und keine Pflichtverletzung. Das sofortige Einschreiten sei durchaus nachvollziehbar gewesen, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Kelm zur Urteilsbegründung. Die Beamten sollten den 16-Jährigen entwaffnen, weil die Gefahr bestanden habe, dass er sich das Leben nimmt. Es sei auch darum gegangen, dass unbeteiligte Dritte nicht gefährdet werden. Auch wenn heute im Rückblick klar sei, dass der 16-Jährige dies nicht vorhatte. «Nachher ist man immer schlauer, besonders, wenn man im Gerichtssaal sitzt», sagte Kelm zum Abschluss.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer dem Einsatzleiter fahrlässige Tötung vorgeworfen und sich für eine Haftstrafe auf Bewährung ausgesprochen. Er habe zu Unrecht und zu unüberlegt den Einsatz von Pfefferspray angeordnet – und so den fatalen Lauf der Dinge erst in Gang gesetzt. Das Gericht sah dies nicht so.
Messer an eigenen Bauch gehalten
Mouhamed Dramé, ein Jugendlicher aus dem Senegal, war am 8. August 2022 von fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole der Polizei getötet worden. Er hatte im Innenhof einer Wohngruppe in einer Nische gelehnt und sich – vermutlich in Suizidabsicht – ein Messer an den Bauch gehalten. Um ihn zu entwaffnen, hatte der Dienstgruppenleiter den Einsatz von Pfefferspray angeordnet. Daraufhin bewegte er sich mit dem Messer in der Hand auf die Beamten zu. Die Taser stoppten ihn nicht, direkt darauf schoss ein als Sicherungsschütze eingeteilter Beamter.
Die Polizeibeamten nahmen die Freisprüche mit ernsten Mienen auf. Die anwesenden Brüder des getöteten Geflüchteten hörten der Urteilsbegründung mit gesenkten Köpfen zu. Nach der Urteilsbegründung gab es laute Proteste im Zuschauerbereich. Die Wachtmeister mussten den Saal räumen lassen.
Lange Prozessdauer
Mit dem Urteil geht der Prozess nach einem Jahr zu Ende. Auf der Anklagebank saßen fünf Polizisten und Polizistinnen, die im August 2022 an dem fatalen Polizeieinsatz in der Dortmunder Jugendwohngruppe beteiligt waren.
Die Staatsanwaltschaft hatte den 31 Jahre alten Polizeibeamten ursprünglich wegen Totschlags angeklagt. Ein Kollege und zwei Kolleginnen waren wegen gefährlicher Körperverletzung, der Vorgesetzte wegen Anstiftung zu dieser vor Gericht gekommen.