Schweinfurt (red). Wann hat eine große deutsche Handelskette letztmals eine Filiale in Schweinfurt eröffnet? Man muss lange zurück rechnen. 2009 war es die Hugendubel-Buchhandlung am Georg-Wichtermann-Platz und 2011 Denns Biomarkt in der Schützenstraße. 2009 stand auch der Umzug von C&A in die im Februar 2009 eröffnete Stadtgalerie an. Mit TK Maxx wurde jedoch schnell ein Nachfolger für die Immobilie neben der Galeria Kaufhof am Jägersbrunnen gefunden.
Das Jahr 2009 darf aus heutiger Sicht durchaus als Wendepunkt in der Schweinfurter Stadtgeschichte gesehen werden, denn bis dahin ging es – abgesehen von der großen Industriekrise zu Beginn der 1990er Jahre – nur bergauf. Die reichsstädtische Vergangenheit wurde durch die Freilegung der Stadtmauer hervor gekehrt, der Rossmarkt saniert, das Silvana-Schwimmbad komplett erneuert, das Museum Georg Schäfer entstand und mit dem Konferenzzentrum auf der Maininsel werden bis heute große Events nach Schweinfurt gezogen. Die Ausweisung des Gewerbeparks Maintal als Antwort auf die erste Industriekrise zu Beginn der 1990er Jahre wurde von manchen als „Größenwahn“ und Flächenvergeudung abgetan, erwies sich aber als goldrichtig, denn tatsächlich sind tausende neue Arbeitsplätze entstanden und mehrere international operierende Unternehmen, wie etwa SRAM, Madinger, XXXLutz usw. ließen sich nieder. Von den „goldenen Grieser Jahren“ wird oft gesprochen, die unterstützt von einem emsigen Wirtschaftsförderer Hans Schnabel und ab 2000 von einem umsichtigen Kämmerer Martin Baldauf Visionen entwickelte. Gleichwohl war es auch jene Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser, die als vehemente Befürworterin der Stadtgalerie in die Kritik geriet. Heute weiß man, dass der innerstädtische Handel massiv gelitten hat, aber auch die Stadtgalerie nicht so recht froh wurde. Mancher erhoffte „große Name“ hat schon gleich am Beginn abgewunken.
Warum diese Kombination in Schweinfurt nicht funktioniert hat, ist auch für Marktforscher auf Basis von objektiven Kriterien rätselhaft, denn in vergleichbaren Städten haben Innenstadteinkaufszentren nach wie vor eine gute Frequenz und kaum Leerstände, bzw. Nachfolger stehen schon in den Startlöchern. In der Schweinfurter Stadtgalerie scheint sich jedoch niemand mehr niederlassen zu wollen. Und auch traditionelle Schweinfurter Innenstadtgeschäfte finden keine adäquaten Nachfolger mehr. Verschwunden sind alte Traditionsgeschäfte wie die Rückert-Buchhandlung, Krönlein, die Markthalle, Schürzen Mantel, Rosa, Messer Hoffritz. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Die Toten Hosen im Willy-Sachs-Stadion
Doch 2009 war erst der Anfang. 2014 gab es gleich drei Paukenschläge: Die Stilllegung des Kernkraftwerks, den Abzug der US-Amerikaner und die Insolvenz des Brauhauses. Und so ging es weiter. Die Ufra-Messe fand während Corona letztmals statt und auch hier scheint sich – anders als in Würzburg – keine Nachfolgeveranstaltung organisieren zu lassen. Die Auto-Freizeit-Sport auf dem Volksfestplatz – aus und vorbei. In Schweinfurt hat inzwischen sogar Innenstadt-Platzhirsch McDonalds den Standort verlassen. Dieser Redaktion ist keine andere Stadt über 50.000 Einwohner bekannt, wo der Fast-Food-Gigant nicht ein Restaurant in zentraler Lage hat.
Auch für Studenten scheint Schweinfurt inzwischen kein interessanter Studienort zu sein. Die Studierenden-Zahlen stagnieren bei rund 3.200, trotz des inzwischen schon vor vielen Jahren ausgegebenen Wunsches die Zahlen zu verdoppeln. Es fehlt schlichtweg an Wohnraum und der i-Campus kommt auch nicht so recht voran, ebenso wenig, wie die daneben liegende Brachfläche, die eigentlich für die Landesgartenschau 2026 vorgesehen war, die wiederum – aus Kostengründen – abgegeben wurde. Konzertveranstalter machen inzwischen ebenfalls einen großen Bogen um Schweinfurt. Was 1997 mit einem Konzert der Backstreet Boys begann, führte weitere Top-Acts wie die Toten Hosen, Scorpions oder Nena ins (damals noch) Willy-Sachs-Stadion. Dieses war zusammen mit dem Mercure Hotel 2006 zur Fußball WM als nette Beigabe Quartier der tunesischen Nationalelf. Zur EM in diesem Jahr sprach niemand über Schweinfurt. Auch über das Honky Tonk-Kneipenfestival – immerhin 1993 in Schweinfurt erfunden – spricht auch niemand mehr.
Dass das Volksfest nun schon um einen Tag verkürzt wurde, wird offiziell auf organisatorische Gründe geschoben und soll kein Vorbote weiterer Verkürzungen bis hin zu einem schleichenden Ende sein.
Das Ende der Galeria Kaufhof wurde da schon eher als Katastrophe tituliert, obwohl man da noch gar nicht ahnen konnte, dass es noch schlimmer kommen wird. Die Schließung des Krankenhauses St. Josef bedeutet nicht nur den Verlust von 800 Arbeitsplätzen und 272 Versorgungsplätzen, es bedeutet auch, dass es in Schweinfurt nur noch ein Krankenhaus gibt. Und das ist in Zeiten zunehmender Katastrophen und zuletzt sogar auch Kriegsängsten eine kontraproduktive Entwicklung, auch im Hinblick auf immer älter werdende Menschen. Welche Auswirkungen es auf die Bevölkerung hat, wenn ein Krankenhaus aus welchen Gründen auch immer beschädigt oder in seiner Funktion eingeschränkt ist, zeigen uns täglich Bilder aus der Ukraine. Google listet für das etwa doppelt so große Würzburg bis zu neun Kliniken auf.
Der Wegfall von gut bezahlten Stellen
Und weil die Nachrichten nicht schon schlecht genug sind, ziehen auch über die Schweinfurter Industrie dunkle Wolken auf. Jene Industrie, die den Grieser-Jahren durch hohe Gewerbesteuereinnahmen natürlich auch den Spielraum bescherte, den es heute in der Form so nicht mehr gibt.
Der angekündigte Stellenabbau kann für die direkt davon Betroffenen zwar weitgehend sozialverträglich gestaltet werden, viel schlimmer ist jedoch der Wegfall von gut bezahlten Arbeitsplätzen. Gute Arbeitsplätze binden gut ausgebildete Menschen, die das Land und die Innenstadt prägen. Sie haben die Kaufkraft in Schweinfurt einzukaufen und das gesellschaftliche Leben zu bereichern. Gesucht wird Personal hingegen überwiegend im Billiglohnsektor – das wäre ein schlechter Tausch für Schweinfurt.
Die Entwicklungen haben sich inzwischen schon auf den städtischen Haushalt niedergeschlagen. Die Kassen sind leer und Rücklagen bald aufgebraucht. Wichtige Entwicklungen wie die das Kulturforum am Martin-Luther-Platz oder die Entwicklung des Ledward-Geländes müssen immer wieder auf „bessere Zeiten“ aufgeschoben werden. Auch in der Maxbrückenfrage droht das Worst-Case-Szenario. Eine mehrjährige Komplettschließung – trotz mehrerer Alternativvorschläge – die die Stadt wohl noch tiefer in die Krise reiten wird.
Wohl durch das nahegelgene Ankerzentrum hat sich auch die sichtbare Bevölkerung in der Innenstadt verändert. Weil dieser Bevölkerungsteil von staatlichen Leistungen lebt, die auf ein Minimum begrenzt sind, kann der innerstädtische Handel kaum profitieren. Aber auch ohne Ankerzentrum hat Schweinfurt laut jüngsten Veröffentlichungen zur Einwohnerstatistik den höchsten Ausländeranteil (nach Pass) in ganz Bayern. Menschen mit Migrationshintergrund zählen da nicht dazu.
Viel Schweinfurter nehmen die Lage trotz allen Ernstes mit Sarkasmus. In Internet-Foren wird von „wegschieben“ gesprochen oder die Umwandlung des Krankenhauses St. Josef in ein großes Parkhaus um die nicht mehr benötigte Innenstadt komplett für Radfahrer frei zu geben.
Da ist es zum Ende hin doch auch schön, dass es noch gute Nachrichten gibt: Die Original Schweinfurter Schlachtschüssel wurde zum immateriellen Kulturerbe erklärt.